Neues zur A1-Bescheinigung – Sozialrechtliche Verteidigung

Die A1-Bescheinigung ist ein wichtiges Dokument im europäischen Sozialrecht. Sie dient dazu, festzuhalten, welches nationale Sozialversicherungssystem auf eine Person angewendet wird, die vorübergehend in einem anderen EU-Land arbeitet. Doch was passiert, wenn ein Arbeitgeber diese Bescheinigung nicht beantragt? Die Antwort auf diese Frage kann insbesondere im Kontext der strafrechtlichen Verteidigung von großer Bedeutung sein.

Die Position der Beklagten und der praktische Leitfaden

Nach dem Urteil Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 19.03.2024 (Az.: L 14 BA 111/18) hat sich die Behörde auf den von der Europäischen Kommission herausgegebenen „Praktischen Leitfaden zum anwendbaren Recht in der Europäischen Union (EU), im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und in der Schweiz“ berufen. Die Behörde vertritt die Auffassung, dass eine Entsendekonstellation nur dann anerkannt werden kann, wenn eine A1-Bescheinigung vorliegt. Diese Ansicht stützt sich nicht auf eine konkrete Rechtsvorschrift, sondern lediglich auf die Interpretation dieses Leitfadens.

Im Leitfaden wird im Abschnitt I.11 der Begriff „muss“ verwendet: „Ein Unternehmen, das einen Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedstaat entsendet, bzw. – im Fall eines Selbstständigen – die Person selbst muss sich an den zuständigen Träger im Entsendestaat wenden.“ Dies könnte den Eindruck erwecken, dass es eine verpflichtende Regelung gibt, die Arbeitgeber dazu zwingt, eine A1-Bescheinigung zu beantragen.

Was der Leitfaden wirklich sagt

Wichtig ist jedoch festzustellen, dass der Leitfaden keine verbindliche Aussage darüber trifft, welche Konsequenzen ein Verstoß gegen diese (vermeintliche) Pflicht hat. Er beschreibt lediglich das Verfahren, das im Falle eines Antrags auf eine A1-Bescheinigung zu befolgen ist. Der Leitfaden ist zudem nur ein „Arbeitsinstrument“ für Träger, Arbeitgeber und Bürger und keine rechtsverbindliche Vorschrift für Behörden oder Gerichte.

Aus diesem Grund konnte sich die Behörde nicht erfolgreich auf den Leitfaden berufen, um ihre Rechtsauffassung zu untermauern. Der Leitfaden allein schafft keine Rechtsverpflichtung zur Beantragung einer A1-Bescheinigung, noch legt er rechtliche Konsequenzen bei Nichtbeachtung fest.

Die Entscheidung des Gerichts

Das LSG schließt sich der Meinung an, dass eine Entsendung – bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Grundverordnung – auch ohne eine beantragte oder erteilte A1-Bescheinigung anerkannt werden kann. Der entscheidende Punkt ist, dass der Arbeitgeber glaubhaft nachweisen muss, dass die Voraussetzungen einer Entsendung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung erfüllt sind.

Warum diese Entscheidung für die strafrechtliche Verteidigung hilfreich ist

Die Entscheidung des Gerichts ist für die strafrechtliche Verteidigung aus mehreren Gründen hilfreich:

  1. Klärung der Rechtslage: Sie stellt klar, dass die A1-Bescheinigung zwar ein wichtiges Dokument ist, jedoch nicht zwingend erforderlich, um eine Entsendung anzuerkennen. Dies kann in Fällen, in denen die A1-Bescheinigung nicht vorliegt, als Verteidigungsargument genutzt werden.
  2. Entlastung von Strafbarkeitsrisiken: Arbeitgeber, die keine A1-Bescheinigung beantragt haben, stehen nicht automatisch unter Verdacht, gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Solange sie nachweisen können, dass die Entsendungsvoraussetzungen erfüllt sind, besteht keine strafrechtliche Haftung.

Verteidigungsrelevant

Die Entscheidung bietet eine solide Argumentationsgrundlage, um die Rechtmäßigkeit der Entsendung zu untermauern. In der strafrechtlichen Verteidigung kann betont werden, dass das Fehlen der A1-Bescheinigung allein nicht ausreicht, um strafrechtliche Sanktionen zu rechtfertigen, wenn die tatsächlichen Bedingungen der Entsendung erfüllt sind.